Latinitas in motu 2021/22

Latinitas in motu: Was die Briefe des Plinius uns zeigen …

Latinitas in motu legentibus salutem dicit!
Die Latinitas in motu grüßt die (geneigten) Leserinnen und Leser,

vielleicht ruft diese Anrede als Einstieg bei den Leserinnen und Lesern Erstaunen hervor, sie führt jedoch direkt zum Thema des vergangenen Schuljahres. Auf dem Lektüreplan standen ausgewählte Briefe des Gaius Plinius Caecilius Secundus Minor, oder kurz: Plinius des Jüngeren (61/62 bis 111/116 n.Chr.).

Plinius der Jüngere wuchs in einer wohlhabenden Familie aus dem Rittergeschlecht mit besten Verbindungen zu politisch und gesellschaftlich einflussreichen Kreisen auf. Geboren wurde er 61 oder 62 n.Chr. in der norditalienischen Stadt Novum Comum, dem heutigen Como. Schon früh nach der Geburt starb sein leiblicher Vater, die Vormundschaft übernahm zunächst der gebildete Politiker und Feldherr L. Verginius Rufus (ca.14 bis 97 n.Chr.). Um die exzellente Schul- und Rhetorik-Ausbildung des jungen Plinius bei den angesehensten Lehrern in Rom kümmerte sich sein Onkel Gaius Plinius Secundus Maior, Plinius der Ältere (23/24 bis 79 n.Chr.). Der Onkel war langjähriger Offizier und genoss als hoher Verwaltungsbeamter das Vertrauen des literaturkundigen und kunstsinnigen Kaisers Vespasian (9 bis 79 n.Chr.). Seine wissenschaftlichen Studien machten ihn zu einem der bedeutendsten Gelehrten in der römischen Geschichtsschreibung, als Naturforscher machte er sich mit der systematischen naturwissenschaftlichen Enzyklopädie, der »Naturalis historia«, einen Namen.

Plinius d.J. wurde wie sein literarisches Vorbild Cicero (106 bis 43 v.Chr.) Anwalt und begann in der römischen Kaiserzeit unter den Herrschern Domitian und Nerva sowie unter Trajan seinen cursus honorum (Ämterlaufbahn) in den senatorischen Ämtern bis hin zum Konsulat im Jahre 100. In diesem Amt verfasste er den »Panegyricus«, eine prunkvolle Lob- und Dankesrede, auf Kaiser Trajan. Um 103 fand Plinius als Augur Aufnahme in eines der bedeutendsten Priesterkollegien, 109 wurde er »Beauftragter des Kaisers mit konsularischer Gewalt« (legatus Augusti consulari potestate) und übernahm als Statthalter die Amtsgeschäfte in Bithynien-Pontus im Norden Kleinasiens. Ab 111 verliert sich die Spur des Plinius. Man nimmt an, dass er im Alter von mehr als 50 Jahren in Bithynien gestorben ist. Eine ausführliche Inschrift in Como erinnert noch heute an Plinius.

Plinius verfügte über ein großes soziales Netzwerk und war ein leidenschaftlicher Briefschreiber. Briefe waren gleichsam die short messages der Antike, (entsprechend der lateinischen Bezeichnung »brevis«) kurzgehaltene Mitteilungen in einem beredten, unaufdringlich-eleganten Ton und klar in der Gliederung.

Plinius trieb die Sorge um seinen eigenen Nachruhm um. Die senatorischen Ämter boten ihm nicht mehr die Möglichkeit, ein bleibendes Andenken an seine Person zu knüpfen. Also wollte er durch sein literarisches Werk im Gedächtnis der Nachwelt unvergessen bleiben. Plinius überarbeitete und publizierte seine Reden, die er als Anwalt vor Gericht gehalten hatte, schrieb eine Tragödie und eine an den römischen Dichter Catull angelehnte Gedichtsammlung, diese Schriften sind nicht mehr vorhanden.

In der Kaiserzeit des Trajan (53 bis 117 n.Chr.) begann Plinius seine Briefe auszuwählen und nach dem Vorbild Ciceros zu veröffentlichen. Von seinen zahlreichen Briefen sind 369 Briefe in zehn Büchern erhalten. Sie sind an 105 Adressaten gerichtet, angesprochen werden Freunde und berühmte Zeitgenossen wie der Geschichtsschreiber Tacitus (ca. 58 bis ca. 120 n.Chr.) und der Schriftsteller Sueton (*um 70 - +nach 120 n.Chr.). Das zehnte Buch erschien posthum und enthält, chronologisch geordnet, in 121 Briefen die Korrespondenz zwischen Plinius und Kaiser Trajan. Es ist nicht überliefert, wer die Briefe bearbeitet und herausgegeben hat.

Plinius war ein stilsicherer Briefschreiber. Er schaffte es, den Brief als literarische Kunstform zu etablieren und sich damit seinen angestrebten Nachruhm bis heute zu sichern. Für Historiker sind die Plinius-Briefe als Geschichtsquelle für das 1. und beginnende 2. nachchristliche Jahrhundert von großer Bedeutung. Sie berichten vom Alltagsleben und geben facettenreich einen authentischen Einblick in das politische und gesellschaftliche Leben der römischen Oberschicht. Hinzu kommen seine naturwissenschaftlichen Beobachtungen sowie die juristische Auseinandersetzung mit dem frühen Christentum. Eine Auswahl seiner Briefe waren Gegenstand der Übersetzung und Interpretation unseres Kreises »Latinitas in motu«. Dazu gehörte der »Widmungsbrief« (ep. 1,1). Plinius erklärt in diesem Brief, warum er der Anregung seines Freundes Septicius Clarus gefolgt sei und eine Auswahl sorgfältig abgefasster Briefe in zufälliger Reihenfolge veröffentlicht habe. Damit folgt Plinius einem typischen Einleitungstopos der römischen Literatur, der jedoch nicht mit der Realität übereinstimmen muss.

Zum Prestige der Oberschicht gehörte Bildung, sie war privat organisiert und teuer. Bildung bekam, wer es sich leisten konnte. Und wer es sich leisten konnte, achtete auf eine hohe Qualität seiner Lehrer.

Plinius, der gebildete, von exzellenten Lehrern wie M. Fabius Quintilianus ausgebildete Römer, liebte das Schreiben und die Literatur, das Nachdenken und die Beschäftigung mit den Wissenschaften sowie die körperliche Ertüchtigung. In seinem Brief ep. 1,9 erfahren wir, dass Plinius »studia« (Studien, wissenschaftliche Betätigung), »otium« (Muße, freie Zeit) und »corpori vacare« (Zeit haben für den Körper) favorisierte, »negotium« (Arbeit, Tätigkeit) sah er als notwendige und ernstzunehmende Pflicht. Das Leben in kreativer Muße war ihm wichtiger als seine Aufgaben in Rom, wo er sein Anwaltsbüro unterhielt, Routine-Aufgaben erledigen musste und seine Staatsgeschäfte betrieb. So viel Zeit wie nötig, so wenig Zeit wie möglich wollte er dafür aufbringen. Das rastlose, aufreibende Leben in der Stadt ließ er möglichst oft hinter sich. Er zog es vor, auf seinen Landgütern zu verweilen und seinen Neigungen nachzugehen, denn, so schrieb er: »Satius est enim (…) otiosum esse quam nihil agere« (ep. 1,9.8) - »es ist nämlich besser, müßig zu sein, d.h. den eigenen Interessen nachzugehen, als nichts zu tun.« (siehe auch ep. 9,36).

Eine Wachstafel, quasi das tablet der Antike, hatte Plinius immer dabei. Statt mit venabulum (Jagdspiess) und lancea (Lanze) brach er mit pugillares (Wachstafel) und stilus (Griffel) zur Jagd auf. Nicht die Tiere waren seine Beute, sondern die neuen Einfälle und Beobachtungen, die er in der Stille des Waldes aufschrieb. »Du wirst erfahren«, schreibt er seinem berühmten Freund Tacitus, »dass Diana in den Bergen nicht mehr herumstreift als Minerva.« (»Experieris non Dianam magis montibus quam Minervam inerrare«: ep. 1,6.3). Seine Landgüter an verschiedenen Orten in Italien waren die Grundlage für den immensen Reichtum des Plinius. Beinahe die halbe Größe des Staates Luxemburg umfassten seine Landgüter, sie waren Orte der Ruhe, dieser Besitz war auch eine wichtige Einnahmequelle. Plinius verpachtete sein Land gewinnbringend an die Bauern (coloni), die Abgaben zu leisten hatten. Wie für Plinius waren die Landgüter Rückzugsorte für die Angehörigen der reichen Oberschicht. Ihre villae suburbanae statteten die Eigentümer luxuriös mit Bibliotheken und Thermen, mit Parks und Statuen aus. Es waren Prestige-Objekte, denn sie sollten den Wohlstand des Eigentümers zeigen. In mehreren Briefen schildert Plinius seinen Lebensstil und beschreibt detailliert die Architektur seiner Villen (ep. 5,6; ep. 2,17).

Plinius war das gemeinsame Mahl mit seinen Gästen wichtig (ep. 1,15). Zum Gastmahl fand man sich am Ende eines Arbeitstages ab 15 Uhr im triclinium, im geschmackvoll eingerichteten Speisesaal zusammen. Auf den Speisesofas konnten jeweils drei Personen im Liegen Platz nehmen. Dann erwartete sie ein sorgfältig zubereitetes, üppiges Mahl mit kurzweiliger Unterhaltung und anregenden Gesprächen.

Ein Thema könnte die intermittierende Quelle am Comer See in der Nähe seines Heimatortes gewesen sein. In regelmäßigen Abständen, dreimal am Tag, fließt und versiegt der Wasserlauf der Quelle. Das seit alters her spektakuläre Naturschauspiel ist für Plinius ein Rätsel und wirft Fragen auf, die er in ep. 4,30 von seinem gelehrten Freund Licinius Sura beantwortet wissen will, dabei stellt er selbst Thesen für eine plausible Erklärung auf. Der Ort an der Quelle war in der Antike ein beliebter Platz, um dort seine Freizeit zu verbringen. Noch heute lässt sich dieses Naturphänomen beobachten. Dafür muss man allerdings ein Zimmer in einem der exklusivsten Hotels am Comer See buchen, auf deren Areal sich der »fons Plinianus« befindet.

Spannend und von großem historischem Wert sind zwei Briefe des Plinius über den Ausbruch des Vesuvs im Jahre 79. Diese Briefe schrieb Plinius 106 n.Chr. Zugrunde lag die Anfrage des befreundeten Historikers Tacitus, die mehr als zwei Jahrzehnte zurückliegenden Ereignisse um den Vulkanausbruch im Golf von Neapel zu beschreiben (ep. 6,20) und über den Tod seines Onkels Plinius d.Ä. zu berichten (ep. 6,16).

Plinius d.J. war Augenzeuge. In seinen Schilderungen bezog sich Plinius ergänzend auf Berichte von Überlebenden der römischen Flotte und auf die Aufzeichnungen seines Onkels, der in Misenum lebte. Die Stadt lag auf der anderen Seite der Bucht gegenüber dem Vesuv, Pompeji, Herculaneum und Stabiae. Sein Onkel war dort als Admiral stationiert und hatte den Befehl über die römische Flotte. Mit einer Galeere segelte der Admiral zunächst in Richtung Herculaneum, um Menschen zu retten, aber auch getrieben von seiner naturwissenschaftlichen Neugier, den Vulkanausbruch aus nächster Nähe zu beobachten. Der heftige Aschenregen verhinderte indes seine Landung in Herculaneum. Plinius d.Ä. änderte seinen Kurs, erreichte Stabiae. Er blieb dort über Nacht, am nächsten Morgen gelang es ihm nicht mehr, Stabiae zu verlassen. Am Strand brach Plinius d.Ä. zusammen und starb. Mit seinem Brief setzte Plinius d.J. dem Onkel ein Denkmal.

Im zweiten Brief (ep. 6,20) schrieb Plinius über seine eigenen Erlebnisse und Beobachtungen. Historiker schätzen seine präzise Darstellung der Ereignisse, Vulkanologen zählen die Berichte des Plinius zum dramatischen Vulkanausbruch zu den ältesten vulkanologischen Zeugnissen und prägten den Terminus »plinianische Eruption«. Mit diesem Begriff charakterisieren die Fachleute einen explosiven Vulkanausbruch mit einer kilometerhohen Eruptionssäule. Zugleich werden im schnellen Ausstoß große Mengen vulkanischen Materials herausgeschleudert, begleitet von dem gefährlichen pyroklastischen Strom, der sich nach dem Zusammenbruch der Eruptionssäule bildet und mit hoher Geschwindigkeit glühende Lavamassen talwärts führt. Dieser pyroklastische Strom begrub Herculaneum, während Pompeji durch den Lapilli-Niederschlag von unendlich vielen erbsengroßen Lava-Steinchen verschüttet wurde. Betroffen waren auch die anderen Orte wie Stabiae.

Die tödliche Naturkatastrophe konservierte gleichsam antike Geschichte für die Nachwelt. In mühevoller, kaum zu bewältigender Arbeit haben mittlerweile Generationen von Archäologen viele Zeugnisse von damals zurück an das Tageslicht geholt und berichten in eindrucksvoller Weise von Menschen einer längst vergangenen Epoche. Ein Ende der Grabungen ist nicht in Sicht, es gibt noch viel zu entdecken. Der Streit, zu welchem genauen Zeitpunkt der Vulkan ausgebrochen sei, dürfte indes beigelegt sein, allgemein wird nach jüngeren Forschungsergebnissen akzeptiert, dass der Vulkan nicht im August, sondern am 24. Oktober 79 n.Chr. ausgebrochen ist. Zu den wichtigsten antiken Quellen über das frühe Christentum zählt der Briefwechsel ep. 10,96 und ep. 10,97 zwischen Plinius und Kaiser Trajan aus den Jahren zwischen 111 und 113. Sie dokumentieren das Verhalten der Christen aus römischer Perspektive. Die Opferverweigerung der Christen gegenüber den römischen Göttern galt als schweres Vergehen.

Als Statthalter von Bithynium und Pontus legte Plinius dem Kaiser schwierige Fälle zur Entscheidung vor. Er wusste nicht und zögerte, wie mit der frühchristlichen Gemeinschaft in Bithynien zu verfahren sei. Die Christen wurden anonym beschuldigt, doch konnte ihnen kein Verbrechen nachgewiesen werden, außer dass sie Christen waren, harmlose Praktiken ausübten und einen »verworrenen, maßlosen Aberglauben« (ep. 10,96.8) anhingen. Das Christentum war monotheistisch und ließ sich nicht mit dem römischen Götterkult in Einklang bringen. Dies drückte sich vor allem darin aus, dass die jungen christlichen Gemeinden sich hartnäckig weigerten, den römischen Gottheiten und dem Kaiser zu huldigen. Diese Abgrenzung empfanden die Römer als Bedrohung ihrer politischen und religiösen Ordnung.

Plinius ging mit Billigung des Kaisers hart gegen die Christen vor. Dennoch räumte Plinius den ihnen die Möglichkeit ein, sich vom Christentum loszusagen, den römischen Göttern und dem Kaiser zu opfern und so einer Bestrafung zu entgehen, andernfalls würden sie nach dreifacher Weigerung hingerichtet. Trajan gibt in seiner Antwort humanen Lösungen den Vorzug. So erklärt er, die Verfolgung anonymer Anzeigen sei nicht zeitgemäß, und spricht sich für Straffreiheit bei denjenigen aus, die der Form genügen, also den Göttern opfern, wobei er das Opfer für sich, den Kaiser, unerwähnt lässt. Trajan bleibt aber hart, wo es, nach seinem Verständnis, um die Durchsetzung der inneren Ordnung, also auch des Staatskultes, geht.

Das Schuljahr war anfänglich eingeschränkt durch die Vorgaben der geltenden Corona-Verordnungen. Die Gruppe traf sich zunächst weiterhin im virtuellen Klassenzimmer. Mit großem Engagement vertieften Magistra Roswitha Czimmek und Magister Dieter Hosemann die Kenntnisse unserer Gruppe in der lateinischen Sprache und vergrößerten das Wissen in Kunst und Kultur der Antike.

Die im Schuljahr zuvor geplante Exkursion wurde im Frühjahr dieses Jahres nachgeholt. Sie führte uns zu der Sonderausstellung »Seuchen. Fluch der Vergangenheit - Bedrohung der Zukunft«. Mit einer eigens für die »Latinitas in motu« konzipierten thematischen Führung zu den Seuchen in der Antike ergänzten die Kuratoren des Römer-Pelizaeus-Museums unsere erworbenen Kenntnisse aus der Beschäftigung mit dem wichtigsten Medizinschriftsteller seiner Zeit, Aulus Cornelius Celsus (ca. 25 v.Chr. bis ca. 50 n.Chr.).

Unsere diesjährige Exkursion führt uns nach den Sommerferien nach Kalkriese zu der Ausstellung: »Pompeji – Pracht und Tod unter dem Vulkan«.

Valete
Dr. Hans-Jürgen Derda

Die "Latinitas in motu" vor dem Roemer-Pelizaeus-Museum